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"Das, was diese Gewähr
(Garantie) leistet, ist nichts Geringeres, als die große
Künstlerin Natur (natura daedala rerum), aus deren mechanischem
Laufe sichtbarlich Zweckmäßigkeit hervorleuchtet, durch
die Zwietracht der Menschen Eintracht selbst wider ihren
Willen emporkommen zu lassen, und darum, gleich als Nöthigung
einer ihren Wirkungsgesetzen nach uns unbekannten Ursache,
Schicksal, bei Erwägung aber ihrer Zweckmäßigkeit im Laufe
der Welt, als tiefliegende Weisheit einer höheren, auf
den objectiven Endzweck des menschlichen Geschlechts gerichteten
und diesen Weltlauf prädeterminirenden Ursache Vorsehung
genannt wird, die wir zwar eigentlich nicht an diesen
Kunstanstalten der Natur erkennen, oder auch nur daraus
auf sie schließen, sondern (wie in aller Beziehung der
Form der Dinge auf Zwecke überhaupt) nur hinzudenken können
und müssen, um uns von ihrer Möglichkeit nach der Analogie
menschlicher Kunsthandlungen einen Begriff zu machen,
deren Verhältniß und Zusammenstimmung aber zu dem Zwecke,
den uns die Vernunft unmittelbar vorschreibt, (dem moralischen)
sich vorzustellen, eine Idee ist, die zwar in theoretischer
Absicht überschwenglich, in praktischer aber (z.B. in
Ansehung des Pflichtbegriffs vom ewigen Frieden, um jenen
Mechanism der Natur dazu zu benutzen) dogmatisch und ihrer
Realität nach wohl gegründet ist. - Der Gebrauch des Worts
Natur ist auch, wenn es wie hier bloß um Theorie (nicht
um Religion) zu thun ist, schicklicher für die Schranken
der menschlichen Vernunft (als die sich in Ansehung des
Verhältnisses der Wirkungen zu ihren Ursachen innerhalb
den Grenzen möglicher Erfahrung halten muß) und bescheidener,
als der Ausdruck einer für uns erkennbaren Vorsehung,
mit dem man sich vermessenerweise ikarische Flügel ansetzt,
um dem Geheimniß ihrer unergründlichen Absicht näher zu
kommen. Ehe wir nun diese Gewährleistung näher bestimmen,
wird es nöthig sein, vorher den Zustand nachzusuchen,
den die Natur für die auf ihrem großen Schauplatz handelnde
Personen veranstaltet hat, der ihre Friedenssicherung
zuletzt nothwendig macht;
- alsdann aber allererst die
Art, wie sie diese leiste. Ihre provisorische Veranstaltung
besteht darin: daß sie 1) für die Menschen in allen Erdgegenden
gesorgt hat, daselbst leben zu können; - 2) sie durch
Krieg allerwärts hin, selbst in die unwirthbarste Gegenden
getrieben hat, um sie zu bevölkern; 3) - durch eben denselben
sie in mehr oder weniger gesetzliche Verhältnisse zu treten
genöthigt hat. - Daß in den kalten Wüsten am Eismeer noch
das Moos wächst, welches das Rennthier unter dem Schnee
hervorscharrt, um selbst die Nahrung, oder auch das Angespann
des Ostjaken oder Samojeden zu sein; oder daß die salzichten
Sandwüsten doch noch dem Kameel, welches zu Bereisung
derselben gleichsam geschaffen zu sein scheint, um sie
nicht unbenutzt zu lassen, enthalten, ist schon bewundernswürdig.
Noch deutlicher aber leuchtet der Zweck hervor, wenn man
gewahr wird, wie außer den bepelzten Thieren am Ufer des
Eismeeres noch Robben, Wallrosse und Wallfische an ihrem
Fleische Nahrung und mit ihrem Thran Feurung für die dortigen
Anwohner darreichen. Am meisten aber erregt die Vorsorge
der Natur durch das Treibholz Bewunderung, was sie (ohne
daß man recht weiß, wo es herkommt) diesen gewächslosen
Gegenden zubringt, ohne welches Material sie weder ihre
Fahrzeuge und Waffen, noch ihre Hütten zum Aufenthalt
zurichten könnten; wo sie dann mit dem Kriege gegen die
Thiere gnug zu thun haben, um unter sich friedlich zu
leben.
Was sie aber dahin getrieben hat, ist vermuthlich
nichts anders als der Krieg gewesen. Das erste Kriegswerkzeug
aber unter allen Thieren, die der Mensch binnen der Zeit
der Erdbevölkerung zu zähmen und häuslich zu machen gelernt
hatte, ist das Pferd (denn der Elephant gehört in die
spätere Zeit, nämlich des Luxus schon errichteter Staaten),
so wie die Kunst, gewisse für uns jetzt ihrer ursprünglichen
Beschaffenheit nach nicht mehr erkennbare Grasarten, Getreide
genannt, anzubauen, ingleichen die Vervielfältigung und
Verfeinerung der Obstarten durch Verpflanzung und Einpfropfung
(vielleicht in Europa bloß zweier Gattungen, der Holzäpfel
und Holzbirnen) nur im Zustande schon errichteter Staaten,
wo gesichertes Grundeigenthum statt fand, entstehen konnte,
- nachdem die Menschen vorher in gesetzloser Freiheit
von dem Jagd-, Fischer- und Hirtenleben bis zum Ackerleben
durchgedrungen waren, und nun Salz und Eisen erfunden
ward, vielleicht die ersten weit und breit gesuchten Artikel
eines Handelsverkehrs verschiedener Völker, wodurch sie
zuerst in ein friedliches Verhältniß gegen einander und
so selbst mit Entfernteren in Einverständniß, Gemeinschaft
und friedliches Verhältniß unter einander gebracht wurden.
Indem die Natur nun dafür gesorgt hat, daß Menschen allerwärts
auf Erden leben könnten, so hat sie zugleich auch despotisch
gewollt, daß sie allerwärts leben sollten, wenn gleich
wider ihre Neigung, und selbst ohne daß dieses Sollen
zugleich einen Pflichtbegriff voraussetzte, der sie hiezu
vermittelst eines moralischen Gesetzes verbände, - sondern
sie hat, zu diesem ihrem Zweck zu gelangen, den Krieg
gewählt. - Wir sehen nämlich Völker, die an der Einheit
ihrer Sprache die Einheit ihrer Abstammung kennbar machen,
wie die Samojeden am Eismeer einerseits und ein Volk von
ähnlicher Sprache, zweihundert Meilen davon entfernt,
im Altaischen Gebirge andererseits, wozwischen sich ein
anderes, nämlich mongalisches, berittenes und hiemit kriegerisches
Volk, gedrängt und so jenen Theil ihres Stammes weit von
diesem in die unwirthbarsten Eisgegenden versprengt hat,
wo sie gewiß nicht aus eigener Neigung sich hin verbreitet
hätten; - eben so die Finnen in der nordlichsten Gegend
von Europa, Lappen genannt, von den jetzt eben so weit
entfernten, aber der Sprache nach mit ihnen verwandten
Ungern durch dazwischen eingedrungene gothische und sarmatische
Völker getrennt; und was kann wohl anders die Eskimos
(vielleicht uralte europäische Abenteurer, ein von allen
Amerikanern ganz unterschiedenes Geschlecht) im Norden
und die Pescheräs im Süden von Amerika bis zum Feuerlande
hingetrieben haben, als der Krieg, dessen sich die Natur
als Mittels bedient, die Erde allerwärts zu bevölkern?
Der Krieg aber selbst bedarf keines besondern Bewegungsgrundes,
sondern scheint auf die menschliche Natur gepfropft zu
sein und sogar als etwas Edles, wozu der Mensch durch
den Ehrtrieb ohne eigennützige Triebfedern beseelt wird,
zu gelten: so daß Kriegesmuth (von amerikanischen Wilden
sowohl, als den europäischen in den Ritterzeiten) nicht
bloß, wenn Krieg ist (wie billig), sondern auch, daß Krieg
sei, von unmittelbarem großem Werth zu sein geurtheilt
wird, und er oft, bloß um jenen zu zeigen, angefangen,
mithin in dem Kriege an sich selbst eine innere Würde
gesetzt wird, sogar daß ihm auch wohl Philosophen, als
einer gewissen Veredelung der Menschheit, eine Lobrede
halten uneingedenk des Ausspruchs jenes Griechen: "Der
Krieg ist darin schlimm, daß er mehr böse Leute macht,
als er deren wegnimmt." - So viel von dem, was die Natur
für ihren eigenen Zweck in Ansehung der Menschengattung
als einer Thierklasse thut. (aus: Kant: zum ewigen Frieden,
erschienen 1795) schlechtere Möglichkeit, finde ich 1.
"Es soll kein Friedensschluß für einen solchen gelten,
der mit dem geheimen Vorbehalt des Stoffs zu einem künftigen
Kriege gemacht worden." Denn alsdann wäre er ja ein bloßer
Waffenstillstand, Aufschub der Feindseligkeiten, nicht
Friede, der das Ende aller Hostilitäten bedeutet, und
dem das Beiwort ewig anzuhängen ein schon verdächtiger
Pleonasm ist. Die vorhandene, obgleich jetzt vielleicht
den Paciscirenden selbst noch nicht bekannte, Ursachen
zum künftigen Kriege sind durch den Friedensschluß insgesammt
vernichtet, sie mögen auch aus archivarischen Documenten
//VIII344// mit noch so scharfsichtiger Ausspähungsgeschicklichkeit
ausgeklaubt sein. - Der Vorbehalt (reservatio mentalis)
alter allererst künftig auszudenkender Prätensionen, deren
kein Theil für jetzt Erwähnung thun mag, weil beide zu
sehr erschöpft sind, den Krieg fortzusetzen, bei dem bösen
Willen, die erste günstige Gelegenheit zu diesem Zweck
zu benutzen, gehört zur Jesuitencasuistik und ist unter
der Würde der Regenten, so wie die Willfährigkeit zu dergleichen
Deductionen unter der Würde eines Ministers desselben,
wenn man die Sache, wie sie an sich selbst ist, beurtheilt.
- Wenn aber nach aufgeklärten Begriffen der Staatsklugheit
in beständiger Vergrößerung der Macht, durch welche Mittel
es auch sei, die wahre Ehre des Staats gesetzt wird, so
fällt freilich jenes Urtheil als schulmäßig und pedantisch
in die Augen. (aus: Kant: Zum ewigen Frieden) auch schlechtere
Möglichkeit, finde ich 6. "Es soll sich kein Staat im
Kriege mit einem andern solche Feindseligkeiten erlauben,
welche das wechselseitige Zutrauen im künftigen Frieden
unmöglich machen müssen: als da sind Anstellung der Meuchelmörder
(percussores), Giftmischer (venefici), Brechung der Capitulation,
Anstiftung des Verraths (perduellio) in dem bekriegten
Staat etc." Das sind ehrlose Stratagemen. Denn irgend
ein Vertrauen auf die Denkungsart des Feindes muß mitten
im Kriege noch übrig bleiben, weil sonst auch kein Friede
abgeschlossen werden könnte, und die Feindseligkeit in
einen Ausrottungskrieg (bellum internecinum) ausschlagen
würde; da der Krieg doch nur das traurige Nothmittel im
Naturzustande ist (wo kein Gerichtshof vorhanden ist,
der rechtskräftig urtheilen könnte), durch Gewalt sein
Recht zu behaupten; wo keiner von beiden Theilen für einen
ungerechten Feind erklärt werden kann (weil das schon
einen Richterausspruch voraussetzt), sondern der Ausschlag
desselben (gleich als vor einem //VIII347// so genannten
Gottesgerichte) entscheidet, auf wessen Seite das Recht
ist; zwischen Staaten aber sich kein Bestrafungskrieg
(bellum punitivum) denken läßt (weil zwischen ihnen kein
Verhältniß eines Obern zu einem Untergebenen statt findet).
- Woraus denn folgt: daß ein Ausrottungskrieg, wo die
Vertilgung beide Theile zugleich und mit dieser auch alles
Rechts treffen kann, den ewigen Frieden nur auf dem großen
Kirchhofe der Menschengattung statt finden lassen würde.
Ein solcher Krieg also, mithin auch der Gebrauch der Mittel,
die dahin führen, muß schlechterdings unerlaubt sein.
- Daß aber die genannte Mittel unvermeidlich dahin führen,
erhellt daraus: daß jene höllische Künste, da sie an sich
selbst niederträchtig sind, wenn sie in Gebrauch gekommen,
sich nicht lange innerhalb der Grenze des Krieges halten,
wie etwa der Gebrauch der Spione (uti exploratoribus),
wo nur die Ehrlosigkeit Anderer (die nun einmal nicht
ausgerottet werden kann) benutzt wird, sondern auch in
den Friedenszustand übergehen und so die Absicht desselben
gänzlich vernichten würden.
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Zum ewigen Frieden, Kant 1795
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